Jubel bei den FREIEN WÄHLERN in Rheinland-Pfalz: Die noch junge Partei hat erstmals den Einzug in den Mainzer Landtag geschafft. Sie profitierte dabei wahrscheinlich vor allem von der Abwanderung enttäuschter CDU-Wähler.
Die Freien Wähler in Rheinland-Pfalz feiern einen überraschenden Triumph: Mit ihrem Spitzenkandidaten Joachim Streit schafft die Partei erstmals mit 5,4 Prozent den Einzug in den Landtag in Mainz. „Das, was wir uns vorgenommen haben, in den Landtag zu kommen, ist erreicht“, freute sich Streit. „Es ist tief empfundene Freude“, so der 55-jährige Politiker, der Landrat des Eifelkreises Bitburg-Prüm ist. Und: „Das ist natürlich ein historischer Moment für unsere Partei, ein historischer Moment auch in Rheinland-Pfalz.“ berichtete die WELT
Bei der Landtagswahl 2016 hatten die FREIEN WÄHLER nur 2,2 Prozent der Stimmen erreicht. Der Landtag in Mainz ist bereits der dritte Landtag in der Bundesrepublik, in dem die FREIEN WÄHLER Mandate erobern. „Das ist natürlich eine tolle Sache, eine Sensation für die Freien Wähler“, sagte der Landesvorsitzende Stephan Wefelscheid am Wahlabend. Genau das wollte man auch Wählern in anderen Bundesländern zeigen: „FREIE WÄHLER kannst du wählen, die Stimme ist nicht verloren.“
Von Abwanderung enttäuschter Wähler profitiert
Profitiert haben dürften die FREIEN WÄHLER vor allem von der Abwanderung enttäuschter CDU-Wähler. Die CDU verzeichnete ein historisch schlechtes Ergebnis. Unter ihrem Spitzenkandidaten Christian Baldauf verlor die Partei demnach rund fünf Prozentpunkte im Vergleich zur letzten Landtagswahl im März 2016 und liegt etwa neun Prozentpunkte hinter den Sozialdemokraten.
Für das schlechte Abschneiden der Union sei unter anderem das in den vergangenen Wochen öffentlich gewordene Fehlverhalten einzelner Unionsabgeordneter im Zusammenhang mit Maskengeschäften verantwortlich. Neben dem „unanständigen Verhalten“ der Abgeordneten sei dies auch ein Abstrafen der Corona-Politik. In der Bevölkerung wüchsen Unmut, Unverständnis und Ungeduld über das Corona-Krisenmanagement.
In diese Lücken konnten offenbar die FREIEN WÄHLER stoßen. Die FREIEN WÄHLER sehen sich inhaltlich als wertkonservativ an und spricht damit eine ähnliche Wählergruppe wie die CDU an.
Glasfaseranschluss und Jahresticket für den ÖPNV
Im Wahlkampf setzten die FREIEN WÄHLER unter ihrem Spitzenkandidaten Joachim Streit vor allem auf kommunale Themen. So hatten sie angekündigt, die Reform des kommunalen Finanzausgleichs anzugehen und 400 Millionen Euro pro Jahr „für die kommunale Familie“ herauszuholen.
Außerdem ist die Partei gegen Schließungen von Krankenhäusern und an Schulen und Kitas dürfe nicht gespart werden. Zudem solle jedes Haus einen Glasfaseranschluss und jeder Bürger im Land ein 365-Euro-Ticket für den ÖPNV erhalten.
Auf kommunaler Ebene punkten die FREIEN WÄHLER die Partei schon seit vielen Jahren, so ist sie bereits in mehr als 2000 Gemeinden, Städten und Kreisen in Rheinland-Pfalz vertreten. Bei den Kommunalwahlen 2019 in Rheinland-Pfalz errangen Mitglieder der kommunalen Freien Wählergemeinschaften nach eigenen Angaben 7317 Mandate. Insgesamt hat die 2010 gegründete Landesvereinigung rund 400 Mitglieder.
Mit dem Einzug in den Landtag in Mainz bauen die FREIEN WÄHLER nun ihren Einfluss in den Landesparlamenten weiter aus. Spitzenkandidat Streit hat bereits angekündigt, aus der Opposition heraus Strukturen aufbauen zu wollen. „Der Regierungsauftrag ist vom Wähler an die alte Regierung gegeben worden, das ist klar. Für uns heißt das, wir werden auf den Oppositionsbänken sitzen“, sagte Streit. Man wolle die nächsten fünf Jahre nutzen, um die Freien Wähler als Partei auszubauen. „Wir rechnen auch mit vielen Neueintritten.“
„Die neue liberal-konservative Kraft“
Was alles im Bereich des Möglichen liegt, zeigt das Beispiel Bayern, wo die Partei erstmals 2008 in das Landesparlament einzog. Seit 2018 regieren die Freien Wähler dort gemeinsam in einer Koalition mit der CSU. Der bayerische Chef der Freien Wähler, Hubert Aiwanger, wurde als Wirtschaftsminister stellvertretender Ministerpräsident. Dementsprechend erfreut zeigte er sich über den Erfolg seiner Kollegen im Südwesten: „Das ist eine ganz starke Leistung. Die Menschen sehen die FREIEN WÄHLER mehr und mehr als neue bodenständige, bürgerliche Partei in ganz Deutschland.“
Das nächste Ziel habe Aiwanger bereits ins Auge gefasst: den Einzug ins Landesparlament in Sachsen-Anhalt – und den Durchbruch auf Bundesebene. „Wir wollen die neue liberal-konservative Kraft auch auf Bundesebene werden“, sagte er. „Bürgerliche Koalitionen müssen wieder möglich werden.“ Deutschland müsse wieder vernünftig regiert werden, anstatt immer mehr unter die ideologischen Räder zu kommen.
Die FREIEN WÄHLER treten auch bei der Bundestagswahl Ende September an und hoffen dort nicht nur auf den erstmaligen Einzug ins Parlament, sondern auch gleich auf eine gemeinsame Regierung mit Union und FDP. Bei den beiden vergangenen Bundestagswahlen hatten die Freien Wähler jeweils 1,0 Prozent erzielt.
Quelle: WELT, 15.03.2021