FREIE WÄHLER kritisieren das Verfahren und fordern Aussetzung des Beschlusses.
Koblenz. Selten kann eine Sitzung des Stadtrates als historisch oder denkwürdig bezeichnet werden. Historisch und positiv war in der Vergangenheit sicherlich die Entscheidung für die Bundesgartenschau 2011. Das wurde uns durch die Verleihung der Ehrenbürgerschaft an den Alt-OB Dr. Eberhard Schulte-Wissermann in der Sitzung sehr deutlich bewusst. Ganz sicher historisch und negativ waren die Beschlüsse zum „Klimanotstand“, die der Stadtrat in der jüngsten Sitzung mit knapper Mehrheit beschlossen hat. Besonders kritisch sieht die Fraktion FREIE WÄHLER die Sitzungsleitung von Oberbürgermeister David Langner: „In vielen Jahrzehnten Ratszugehörigkeit haben wir so eine unprofessionelle Antragsberatung noch nicht erlebt“, fassen FW-Fraktionsvorsitzender Stephan Wefelscheid und Fraktionsgeschäftsführer Christian Altmaier die Sitzung kurz zusammen.
Mit einer Flut von überraschenden Änderungsanträgen konfrontierte das neue Links-Bündnis im Stadtrat aus Grünen-Fraktion, SPD und Linkspartei den Stadtrat am Morgen des Sitzungstages. Da bis zur Ratssitzung die Verwaltungsvorlage (mit 33 Einzelmaßnahmen auf 9 Seiten!) ohnehin in keinem Ausschuss vorberaten wurde, war die vertiefende Erstbefassung mit den Änderungen geradezu unmöglich. „Mit dieser Vorgehensweise hat die SPD ihren Parteifreund Langner nicht gestärkt. Im Gegenteil: Langner geht deutlich geschwächt aus der Ratssitzung hervor.“
Wesentliche Forderungen und Begrifflichkeiten waren im Antrag der Verwaltung unpräzise beschrieben, eine Beurteilung der Auswirkungen daher kaum möglich. Diskussionen in den Ausschüssen hätten Not getan um zunächst die Forderungen zu präzisieren. Im Nachgang wäre es dann für die Fraktionen an die Recherche der Hintergründe gegangen um verantwortungsbewusst eine Entscheidung fällen zu können. Besonders deutlich wird diese unnötige Misslage schon in der Hauptforderung des Antrags, der Minimierung der CO2-Emissionen um 50 Prozent bis 2030 im „Wirkungskreis“ der Stadt. In der Sitzung selbst konnten wir erstmals die grundlegenden Fragen anbringen, welche Definition dem Wort „Wirkungskreis“ und welches Basisjahr der prozentualen Minderung zugrundegelegt wird. Wefelscheid erklärt: „Wir erfuhren also in der Sitzung, dass als Basisjahr der Minderung 2019 anzusetzen ist. Das stellte uns vor eine ganz neue Bewertungssituation, denn in den üblichen Beschlüssen dieser Art wurde auf allen Ebenen als Basisjahr immer das Jahr 1990 zugrundegelegt. Auf Bundesebene gilt zum Beispiel im aktuellen Klimaschutzprogramm das Ziel einer Reduktion um 55 Prozent zum Basisjahr 1990. Im Landesklimaschutzgesetz steht das Ziel die Treibhausgasemissionen, ebenfalls zum Basisjahr 1990, um 40 Prozent zu minimieren, wobei die Wirkungen aus dem Handel mit Zertifikaten aus dem europäischen Emissionshandel auch Berücksichtigung findet. Dasselbe Prinzip gilt bei der Zielbeschreibung der Europäischen Union. Auch hier wird das Basisjahr 1990 für alle Zielbestimmungen herangezogen. Wir gingen in unserer Bewertung vor der Sitzung also zunächst von einer Forderung aus, die die Reduktion des Ausstoßes zum Basisjahr 1990 auf 20 Prozent fordert. In der Sitzung erfuhren wir dann, dass entgegen unserer Erwartungen eine Reduktion um 50 Prozent innerhalb der nächsten zehn Jahr beschlossen werden soll, ab dem heutigen Tag.“ Die FREIEN WÄHLER sind sich sicher, dass die Maßnahmen, die dem Antrag beigefügt wurden, nicht ausreichen werden dieses Ziel zu erreichen.
Auch die 33 Einzelmaßnahmen, beziehungsweise deren Folgen waren im Antrag unpräzise beschrieben und wurden in der Versammlung durch Änderungen und Ergänzungen auch noch wesentlich geändert. „Wir hätten gerne in den Ausschüssen darüber gesprochen, ob ein klares Nein gegen große Neubaugebiete wirklich dem Klimaschutz dient. Denn wir sehen gerade in Quartierskonzepten die einzige Möglichkeit bezahlbaren Wohnraum und Energieeffizienz zu vereinen. Denn eine Fortschreibung der bereits stark fortgeschrittenen Innenverdichtung lehnen wir auch aus Umweltgesichtspunkten ab. Es dürfen nicht noch mehr Grüninseln, Frischluftschneisen und Spielplätze der Nachverdichtung zum Opfer fallen „, sagt Edgar Kühlenthal, baupolitischer Sprecher der FW Fraktion.
„Es ist diese Art des Verfahrens, das die FREIEN WÄHLER kritisieren. Es darf nicht sein, dass diese 33 Punkte nicht in einem einzigen Ausschuss in Ruhe und Sachlichkeit diskutieren werden konnten“, betont FW-Fraktionsvize Angela Keul-Göbel.
FREIE WÄHLER befürchten zudem aus dem nunmehr in knappster Mehrheit beschlossenen „Klimanotstand“ erhebliche Konsequenzen für die Stadt Koblenz, sowohl in städtebaulicher, als auch in wirtschaftlicher Hinsicht. Denn insbesondere Ziffer 2, b) der Beschlussfassung besagt, dass die Stadt alle Maßnahmen zu ergreifen hat, um in ihrem Wirkungsbereich die CO2-Emmission bis zum Jahr 2030 um 50 Prozent zu reduzieren, und das ausgehend vom Basisjahr 2019. „Da stellt sich die Frage: Was heißt das denn konkret, dass „alle Maßnahmen zu ergreifen sind“ und welche konkreten Investitionen und Kosten sind damit verbunden? Es steht zu befürchten, dass dieser Beschluss unabsehbare finanzielle Folgen nach sich zieht und damit die Grundsätze der Wirtschaftlichkeit berührt. Eigentlich müsste der Beschluss ausgesetzt werden und die Verwaltung müsste zunächst einmal sauber recherchieren und darlegen, welche konkreten finanziellen Auswirkungen diese beschlossene Ziffer 2, b) mit sich bringt. Sodann müsste der Rat nochmals damit befasst werden. Wir haben deswegen den Oberbürgermeister angeschrieben und unter Verweis auf § 42 GemO angefragt, ob dieser die Ausführung dieses Beschlusses aussetzt“, erklärt FW Fraktionsvorsitzender Wefelscheid. Bekanntlich hatten die größten Unternehmen der Stadt, Debeka, CompuGroup, ZF Friedrichshafen, Sparkasse und der Fahrradhersteller CANYON Bedenken geäußert. „Das Signal des Stadtrates gegenüber der Wirtschaft ist fatal. Gewinner dieses Beschlusses wird der Landkreis Mayen-Koblenz oder der Rhein-Lahn-Kreis sein, wenn die Aussagen aus der Wirtschaft umgesetzt werden“, befürchten die Ratsmitglieder der FREIE WÄHLER.